14 – Maximilians Geständnis
James Bond stand auf und wendete sich von dem toten Portier ab. Er ging zurück in Meisters Büro. Maximilian hatte mittlerweile Meisters Augen geschlossen und schaute resigniert und kraftlos zu dem britischen Agenten. „Ich wusste es. Ich wusste, dass mein Vater damit sein Leben zerstören würde. Wer… wer hat ihn umgebracht? Haben sie ihn erwischt?“
Bond nickte. „Habe ich. Leider ist mir mithilfe einer Giftkapsel dann doch noch entwischt. Es war der Portier.“ Max schloss kurz die Augen. Er hatte es geahnt. „Woher wussten sie, dass ihr Vater sein Leben verwirkt hatte, Maximilian?“
Max setzte sich auf den Stuhl und konnte seinen Blick nur mühsam von seinem toten Vater lösen. „Er… er hat Francois erschossen, den Zimmerkellner. Gerade als dieser diesen Mr. Q töten wollte. Er… er hat es nicht mehr ausgehalten. All diese Verbrechen, diese Morde. Er wurde ganz und gar von dem Master beherrscht. Er konnte nicht mehr länger. Er wollte sich ihnen anvertrauen und ihnen alles sagen, was er wusste.“
Bond schaute Maximilian ernst an. „Dann tun sie es jetzt bitte, Maximilian. Erzählen sie mir, was sie wissen. Vollenden sie, was ihr Vater nicht mehr tun konnte.“
Max schüttelte den Kopf und wich dem Blick des Agenten aus. „Ich… ich kann nicht, Mr. Bond. Ich kann es einfach nicht. Ich habe nicht genug Vertrauen zu ihnen. Zu große Angst.“
Denise schrak auf. Ein Schatten glitt an ihrem Fenster vorüber, dann hörte sie einen Aufprall. Sie war gerade dabei sich umzukleiden. Rasch schloss sie ihre Hose und schlüpfte in einen weiten, kuscheligen Wollpullover. Dann verließ sie ihr Zimmer, eilte die Treppe hinab und trat auf die Terrasse. An der Stelle unter ihrem Fenster lag tatsächlich etwas. Es war lang und glänzte metallisch. Sie ging hin und beugte sich hinab. Es war ein Golfschläger.
„Merkwürdig“, murmelte Denise und schaute sich um. Auf der Terrasse war niemand zu sehen. Sie ging ein paar Schritte zurück und schaute nach oben. Sie erschrak als sie Bonds Balkon mit dem herunterhängenden Gittergeländer erblickte. Doch ihr Schrecken legte sich natürlich sofort als ihr bewusst wurde, dass nur ein Golfschläger und nicht James Bond hinunter gefallen war. Allerdings hatte gerade dieser überhaupt keine Golfsachen dabei gehabt.
Denise seufzte. Für ihren Geschmack gab es hier eindeutig zu viele Rätsel. Sie drehte sich um, lehnte sich an das Geländer, das die Terrasse abschloss und das glücklicherweise nicht angesägt war – man hätte hier sowieso nicht tief und schon gar nicht tödlich fallen können – und schaute nachdenklich über den See.
Loch Ness lag an diesem Tag sehr romantisch da. So, als gelte es zu beweisen, wie absurd die tragischen Vorfälle im Hotel an so einem friedlichen Platz eigentlich waren. Eine laue Brise ließ die Wasseroberfläche etwas erzittern. Der See spiegelte das Licht der Sonne und strahlte mit dieser um die Wette. Ein Vogel tauchte im Sturzflug in das Wasser ein und erhob sich kurz darauf mit einem fetten, zappelnden Fisch als Beute im Schnabel wieder in die Lüfte.
Denise lächelte leicht. Es war so ein schöner Urlaubstag. Daran, dass auch der heute so friedliche und eine regelrechte Herzenswärme ausstrahlende See gefährliche Gefahren barg, mochte sie gar nicht denken. „Diese Frevler“, murmelte sie, als sie an die Waffenschieber und den Master dachte, die alle auf ihre Weise Loch Ness mit seiner unendlich scheinenden Weite und den geheimnisvollen Nebeln ausnutzten. Und doch wurde sie nur allzu rasch und allzu gut wieder an die tödlichen Gefahren erinnert, als sie etwas im Wasser treiben sah, dass sich allmählich auf das Ufer und den Steg zu bewegte.
„Warum, Maximilian? Warum vertrauen sie mir nicht?“ Bond schaute den jungen Hotelier ernst an.
„Weil… ich… sie… sie haben Gus getötet“, murmelte Max und schaute immer noch nicht auf. „Es stand in der Zeitung und sie hat es auch gesagt.“
„Wer ist sie?“ fragte Bond weiter.
Nun schaute Max doch zu Bond. „Vera.“
„Sie war hier?“
Max nickte. „Ja. Aber nur kurz. Ben hat sie abgepasst als sie gerade eines der Ausflugsboote besteigen wollte. Sie hat erzählt, dass sie mit ihr geschlafen hätten um Gus fertig zu machen und ihn schließlich töteten.“
„Und sie haben ihr geglaubt“, stellte der Agent fest.
Max nickte erneut. „Warum sollten wir nicht? Sie ist doch Gus’ Ehefrau. Wussten sie das etwa noch nicht?“ Ein leiser Zweifel schwang in Maximilians Stimme mit.
„Nein. Das wusste ich wirklich nicht. Der Bericht, der über Vera verfasst wurde, wurde gestohlen und der Mann, der diesen Bericht verfasst hatte, entführt“, erzählte Bond. „Sehen sie es doch ein, Maximilian. Der Master hat sie und Benjamin geschickt benutzt. Er hat in ihnen Hass auf mich geweckt, damit sie mich aus dem Weg räumen. Das ist typisch für ihn. Er macht sich ungern selbst die Hände schmutzig.“
Max schluckte. Bond hatte ja Recht. Beschämt senkte er wieder den Kopf. „Es tut mir so leid. Alles tut mir so leid. Den Blumenkasten hat Ben gelöst. Ich war das mit dem Geländer und der Schlange.“ Er hob den Kopf wieder. „Was ist eigentlich aus der geworden?“
„Nun, da es keine Seeschlange war, vermute ich mal, dass sie ertrunken ist. Ich habe sie nämlich samt Koffer im Loch Ness entsorgt“, antwortete Bond.
„Es war eine Kapkobra“, meinte Maximilian leise. „Die giftigste Schlange aus dem Terrarium meines Vaters. Ich war so dumm.“ Er seufzte.
„Es ist ja nichts passiert“, meinte Bond sanft. „Doch seien sie nicht weiterhin so dumm. Reden sie. Ich flehe sie an.“
Doch Max schüttelte nur den Kopf. „Nein. Nein, ich kann nicht.“
Denise hatte sich mittlerweile zum Ufer begeben und einen Angler angesprochen. Dieser erklärte sich gerne bereit das Treibgut für die hübsche junge Frau an Land zu ziehen sobald es nahe genug für den Angelhaken war.
Denise ging nervös auf und ab als der Angler schließlich ausholte und das nasse Etwas beim zweiten Versuch mit dem Haken erwischte. Dann drehte er die Kurbel und zog es langsam heran. Schließlich konnte Denise es ohne Probleme greifen: Es war Lafayettes Golfermütze und sie war blutbefleckt!
Denise bedankte sich rasch bei dem Angler und machte sich mit ihrem Fund auf die Suche nach Bond.
„Warum können sie nicht, Maximilian? Was hindert sie daran?“ Bond ließ nicht locker.
„Er. Der Master.“ Max strich sich nervös durch das Haar.
Doch bevor Bond etwas erwidern konnte platzte Denise in den Raum herein. Sie hatte Bond in seinem Zimmer nicht gefunden und wusste ja, dass dieser zu Meister wollte. Schließlich hatte sie auch noch Stimmen im Raum gehört. „Du bist ja noch gar nicht umgezogen, James“, stellte sie noch fest ehe ihr der Atem stockte als ihr Blick auf den toten Meister fiel. „Hast… hast du?“ Ihr Blick ging von Bond zu Maximilian. „Oder er?“ Max zuckte zusammen.
Bond schaute zu Denise. „Nein. Der Mörder liegt schon hingerichtet im Flur. Meister wollte nicht mehr länger so wie der Master.“
„Und ich dachte Meister wäre der Master gewesen“, gab Denise zu.
„Das dachte ich anfangs auch“, gab Bond zurück. „Aber wenn Maximilian sich nicht so sperren würde“, Max zuckte bei Bonds grimmigen Blick zusammen, „dann wüsste ich vielleicht schon, wer wirklich der Meister ist. Warum bist du eigentlich hier, Denise? Und was hast du da in der Hand?“ Sein Blick fiel auf das feuchte, unförmige Stück Stoff.
Denise hob die Hand hoch. „Lafayettes Mütze. Voller Blut. Ich fürchte es hat ihn erwischt.“
„Da sehen sie es, Maximilian. Wie viele müssen noch ihr Leben lassen, ehe sie vernünftig werden?“ fuhr der Agent den jungen Mann an.
Maximilian wurde auf seinem Stuhl ganz klein. „Ich kann nicht, Mr. Bond. Wirklich. Ich kann nicht. Ich habe so große Angst.“
„Angst, dass der Master auch sie töten lässt, wenn sie reden? Glauben sie mir: Wir können sie beschützen.“ Bond sah in seiner zerrissenen Kleidung und der teilweise sichtbaren, blutverschmierten Haut zwar nach allem anderen als nach einem großen Beschützer aus, aber dafür war sein Blick umso eindringlicher.
Max schüttelte den Kopf. „Nein. Davor habe ich keine Angst. Ich… ich habe Angst um Ben, Mr. Bond.“ Verzweifelt schaute er den Geheimagenten an. „Er ist jetzt bei ihm. Der Master wird ihn umbringen, wenn er erfährt, dass ich geredet habe. Ich will nicht, dass er meinem Ben etwas antut.“ Eine Träne löste sich von Maximilians Auge und kullerte seine Wange hinab.
Bond nickte verstehend. „Gerade dann müssen sie reden, Maximilian. Sagen sie uns, wer der Master ist und wo er sich aufhält. Je schneller ich ihn finde und aus dem Verkehr ziehen kann umso besser für sie und Ben.“
Max schluckte. Man sah deutlich, wie er mit sich rang. Denise legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm. Flehend blickte Max Bond an. „Ver… versprechen sie mir, meinen Ben zu retten? Ich… ich weiß nicht, was ich tue, wenn ihm etwas passiert.“
Bond schaute Maximilian ruhig und ernst an. „Ich verspreche es, Maximilian. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun um ihn da heraus zu hauen.“
„Danke“, meinte Max leise. Die Stimme versagte ihm.
„Und jetzt erzählen sie uns, was sie wissen“, sagte Denise sanft und hielt inne. Sie hatte immer noch Lafayettes Golfermütze in der Hand, die nun ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Sie trat einen Schritt zurück.
Maximilian atmete tief durch. „Ich weiß leider auch nur sehr wenig“, seufzte er. „Ich weiß nicht wer der Master ist. Es ging alles über meinen Vater. Er kannte den Master und auch Francois und René, der Portier, waren ihm wohl direkt unterstellt. Allerdings weiß ich wo sich der Master jetzt aufhält. Lorn Island. Das ist eine kleine Insel im Firth of Lorn an der Westküste Schottlands. Von Loch Ness aus über eine Wasserstraße gut zu erreichen. Er hat dort Vertreter des organisierten Verbrechens und mehrere Terroristenführer um sich geschart. Wie sie wohl schon vermutet hatten ging das über diese speziellen Ausflugsfahrten. Ich kann ihnen die Insel auf der Karte zeigen.“
Max stand auf und ging zu der Schottlandkarte, die an der Wand hing. Bond folgte ihm. „Hier. Das ist Lorn Island.“ Er deutete auf eine Stelle der Karte und Bond nickte. „Ihr Kollege Dermot musste sterben, da er ein Treffen der zwei verschiedenen Ausflugsboote beobachtet hatte. Mein Vater hat ihn umgebracht. Da Dermots Leiche noch nicht wieder aufgetaucht ist, wird sie wohl irgendwo im schlammigen Grund des Sees liegen oder wer weiß wohin abgetrieben sein.“ Max schaute zu Denise. „Was haben sie denn da?“
Denise hatte ein durchweichtes Stück Papier in der Hand. „Das war im Futter versteckt. Es steht etwas darauf. Scheint ein Hinweis vom General zu sein.“ Sie reichte Bond den Zettel. Dieser legte ihn auf den Schreibtisch und strich ihn vorsichtig glatt. Drei neugierige Augenpaare blickten nun auf die ungelenk dahin gekritzelten Buchstaben, die schon leicht verschwommen, aber immer noch gut zu entziffern waren:
R E V E R E N D
„Reverend?“ Verwirrt schaute Denise Bond an. „Was oder wen kann er damit meinen?“
Bonds Gesicht war ernst. Er lachte kalt auf. „Reverend Stansfield war mein Kontaktmann in Las Vegas, als ich Gus Hartmann aufgesucht habe. Er ist es, der mit den Unterlagen über Vera verschwunden ist. Ich wusste doch gleich, dass hinter seinem Verschwinden mehr steckt. Was genau wird mir allerdings jetzt erst klar.“
Denise nickte betroffen. Max schwieg. Er konnte sowieso nur an Ben denken und hoffen, ihn gesund wieder zu sehen.
Die Schweigeminute wurde allerdings von dem Eintreffen Qs unterbrochen, der sich – im Gegensatz zu Denise – über nichts mehr wunderte und schon gar nicht über Meisters Leiche. „007?“
Bond drehte sich zu Q um. „Was gibt es, Q?“
„Eine Nachricht von M“, antwortete Q. „Sie müssen dringend nach London zurück. Krisensitzung.“