Ein kalter Wind schlug Bond entgegen, als er in Strasbourg aus dem Flugzeug stieg. Er begann sich ernsthaft zu fragen, warum die Touristen das englische Wetter so außergewöhnlich fanden. Hier war es kaum besser. Aber bereits als Bond mit seinem Wagen - er hatte sich bei der freundlichen Dame von der Autovermietung für einen Renault Alpine A110 entschieden - Strasbourg verliess, klarte der Himmel auf. Als er schließlich in Metz ankam und das Industriegebiet durchfuhr, hatte sich der triste Herbsttag in einen sonnigen Frühlingstag verwandelt. Das vermutete Bond wenigstens, denn die silbrig glänzenden Hochöfen der umliegenden Schwerindustrie schleuderten soviel Russ und Abgase in die Luft, dass die Sonne, die noch kurz vor Metz die Wälder Lothringens so prächtig ausleuchtete, ein seltsam diffuses Licht abgab. Bond quartierte sich im Hôtel Molière ein, einem eher kleinen Landhaus am Rande von Metz. Er hoffte, so der Industrielandschaft, wie er sie bei seiner Ankunft gesehen hatte, zu entkommen. Moulderford hatte ihm einen Termin mit einem gewissen Philippe Legrois bei ALSACIER um 16.00 Uhr beschafft. Es blieb ihm also noch etwas Zeit für ein paar Crêpes und einem Cidre auf der Terrasse des Hôtel Molière. Gegen 15.30 machte er sich auf den Weg zurück ins Industriegebiet zum Walzwerk von ALSACIER, in dem zuletzt Hannigan recherchierte.
Als Bond sich pünktlich um 16 Uhr am Haupttor von ALSACIER als Mr Charles F. Burlington von der Tyneside Coal Company vorstellte, hatte er Monsieur Legrois als eine Art schmierigen Pressesprecher erwartet. Eines jener Geschöpfe, die mit ihrer aalglatten und seriösen Art perfekt dazu geeignet sind, Investorengruppen durch eine Firma zu führen, sie geschickt an allen etwaigen Problemstellen vorbei zu bugsieren und zum Schluss mit einem Lächeln am Haupttor zu verabschieden. All das war Philippe Legrois jedoch keineswegs. Er machte auf Bond mehr den Eindruck eines Vorstandsmitgliedes das von unten heraus den Aufstieg geschafft aber dabei niemals seine Wurzeln vergessen hatte.
„Ah, Bonjour! Monsieur Burlington, wenn ich nicht irre. Was für ein hübsches Auto sie da haben“ Legrois sprach wie alle Franzosen, das „h“ nicht aus, sondern hauchte es nur. „Am besten, wir gehen gleich in mein Büro. Ihre Zeit ist gewiss knapp bemessen, Monsieur.“
Bond bedankte sich und folgte Legrois anschließend in sein Büro, dass zwar hell und freundlich ausgestattet war, aber die Nachbarschaft zum größten Walzwerk in ganz Westeuropa, wie Legrois stolz berichtete, keinesfalls verbergen konnte. Die Scheiben waren ziemlich dreckig und durch die Wand konnte man den Krach aus den Werkhallen gedämpft hören. „Sie nehmen gewiss noch einen Schluck Kaffee, bevor wir mit der Tour beginnen, Monsieur Burlington.“ Bond nickte. „Sehr gerne, Monsieur Lagrois. Ich muss sagen, ihr Betrieb ist bis jetzt wirklich beeindruckend. Unser Walzwerk in Liverpool ist nicht annähernd so groß.“ Legrois lächelte stolz. „Ja, das sind hier andere Dimensionen“ Er beugte sich zu seiner Gegensprechanlage vor „Catherine, deux cafés, s’il vous plait.“ Nun widmete er sich wieder Bond. Warten sie erst mal ab, bis wir in die Haupthalle kommen“ „Darauf bin ich schon ganz besonders gespannt. Meine Firma ist hier hauptsächlich eingestiegen, um Erfahrungen mit einem Betrieb dieser Größe auszutauschen. Wir planen zu expandieren. Wir sind der Meinung, das ist der einzige Weg um in Zukunft eine Chance in dieser Branche zu haben.“ Bond versuchte, möglichst allgemeingültige Phrasen von sich zu geben, um sich nicht durch einen fachlichen Fehler zu verraten. „Sie haben sicherlich Recht, Monsieur Burlington. Aber zur Expansion braucht man neben Know-How in erster Linie Kapital. Deshalb sind wir ja auch so stark am Aktienmarkt vertreten. Noch vor ein paar Jahren…Ah, Catherine“ Legrois Sekretärin betrat den Raum. Sie war überaus hübsch und fürs Büro fast etwas aufreizend gekleidet, wie Bond fand. Trotzdem gefiel sie ihm überaus gut und auch sie selbst schien verschämt einen Seitenblick auf „Mr Burlington“ zu werfen während sie Legrois den Kaffee eingoss. „Etwas Zucker oder Milch, Mr Burlington?“ „Danke, ich trinke meinen Kaffee immer schwarz“ „Etwas langweilig, finde ich“ „Sie irren sich, Madame Catherine, ich beschränke mich nur gern auf das
Wesentliche“ „Mademoiselle Catherine, und ganz besonders das Wesentliche kann langweilig werden, Monsieur Burlington!“ Sie drehte sich aus dem Absatz um und verließ das Zimmer. Legrois hatte die ganze Szene amüsiert beobachtet. „Sie ist ein Goldstück, nicht wahr!“ Bond lächelte „Ihre Firma gefällt mir immer besser. Zeigen sie mir lieber die Nachteile, bevor ich zu viel Positives in Liverpool erzähle.“ Monsieur Legrois lachte. „Alors, beginnen wir mit der Führung!“
Die nächsten drei Stunden gab Legrois Bond einen Überblick über das riesige Gelände von ALSACIER in Metz. Er wollte sichtlich Bond den Eindruck vermitteln, er habe alles gesehen. Den Güterbahnhof, die Metalllagerplätze, die bereits erwähnten Schornsteine, Lagerhallen, die Verwaltungsgebäude, ALSACIER hatte sogar ein kleines Museum errichtet. Als Höhepunkt erreichten sie schließlich die Haupthalle mit zwei Walzstrassen. Mittlerweile war es etwa 9 Uhr und in der Werkhalle wäre es wahrscheinlich bis auf ein paar verrußte Oberlichter ziemlich dunkel gewesen, wenn nicht der Stahl, der sich wie ein glühendes Band funkensprühend durch die Walzen quälte die ganze Halle in ein dämonisch flammendes, zuckendes Licht getaucht hätte. Der Lärm war ebenfalls enorm, die Arbeiter der Spätschicht huschten wie dunkle Schatten durch die Halle und Legrois geleitete Bond zum größten der drei Schmelztiegel aus denen der Rohstahl zischend hervorquoll. „Das ist unser größter und zugleich ältester Schmelztiegel. Hier im Werk nennen wir ihn „Charlemagne“. Er war bereits im ersten Weltkrieg für die Waffenproduktion im Einsatz. Auch heute noch werden hauptsächlich Waffen aus unseren Stahl produziert. Die Männer sagen, solange aus „Charlemagne“ Stahl fließt, hat das Werk gute Zeiten vor sich. Wie Sie sehen, Monsieur Burlington, fließt der Stahl, sie können also beruhigt nach England zurückkehren.“ Bond sah den Augenblick gekommen, um vorsichtig nach Hannigan zu fragen. „Um ehrlich zu sein, ich bin nicht nur wegen ihrer wirtschaftlichen Lage gekommen, Monsieur Legrois.“ Der Franzose machte ein betroffenes Gesicht. “Ich hatte befürchtet, dass Sie das sagen werden. Alle anderen Teilhaber kommen immer nur wegen des Geldes. Sie wollen sich überzeugen, dass alles beim Rechten ist. Wissen Sie,“ Legrois’ Stimme wurde etwas vertraulicher “es gibt Gerüchte, dass wir unsere Bücher, wie sagt man, frisiert haben. Die Liefermengen und die Bücher passen in letzter Zeit manchmal nicht zusammen. Unter uns, wir haben vor kurzem einen neuen Chef bekommen. Monsieur Neudorff. Er hat seinen ganzen Führungsstab gleich mitgebracht. Einfach so!“ „Aber das Werk gehört doch zu 40% dem französischen Staat. Wie ist es dann möglich, dass ein Privatmann den gesamten Vorstand austauscht?“ „Ich bin mir nicht sicher, ob der Staat hier noch die Zügel in der Hand hält. Spätestens seit Neudorff hier die Zügel in der Hand hält, geht alles drunter und drüber. Nun auch noch diese Geschichte mit Hannigan, ihrem Kollegen. Das meinten Sie doch, als sie sagten, Sie seien nicht nur wegen der wirtschaftlichen Lage gekommen. Schlimme Sache, das. Ein schrecklicher Unfall. Er hatte Überstunden gemacht, und am nächsten Tag fanden wir ihn neben „Charlemagne“. Tot. Schrecklich, er muss wohl über einen Kette gestolpert sein und „Charlemagne“ ist direkt auf ihn gefallen. Das hat man mir jedenfalls erzählt. Die alten Konstruktionen sind oft sehr empfindlich. Richten Sie der Tyneside Company bitte noch einmal unser Beileid aus.“ Bond nickte. Er konnte zufrieden sein. Ohne groß nachfragen zu müssen, hatte er viele Fragen beantwortet und Hannigans letzten Brief inhaltlich bestätigt bekommen. Anschließend brachte ihn Legrois zurück zu seinem Renault. „Bleiben Sie noch lange hier, Monsieur Legrois?“ „Nein, ich habe offiziell schon seit einer Stunde Feierabend. Wenn das so weitergeht, streike ich nächstes Mal. Ich werde wohl früh zu Bett gehen. Haben Sie heute Abend noch was vor, Monsieur Burlington. Metz ist sehr schön bei Nacht. Fast wie Paris.“ Bond dachte an die wenig einladende Atmosphäre bei seiner Ankunft. „Nein, ich werde heute zu Hause bleiben“ sagte er schnell. Danach fuhr er zurück zum Hôtel Molière und duschte erst einmal. Er musste den Staub der Walzstrasse und den Ruß des imposanten „Charlemagne“ wieder loswerden.