Ich glaube stark an Scarpines Theorien, genau wissen werden es aber nur die beteiligten Personen.
So ist es. Aber allein anhand der geleakten und verfügbaren Shooting Scripte und Drafts, kann man erkennen, dass Purvis & Wade ein gutes Händchen für Bondstorys und ein gutes Gespür für den Bondcharakter haben, interessante Ideen liefern und einen wirklich guten Sinn für das visuelle Erzählen besitzen. Wie gesagt, vielleicht in Kürze mal etwas ausführlicher zu dem Thema "Purvis & Wade und ihre unrealisierten Ideen" an anderer Stelle...
Das ist meiner Meinung nach überhaupt ein seltsames Phänomen im Big-Budget-Bereich. Man überträgt Regisseuren die komplette kreative Verantwortung für millionenschwere Großprojekte, und vertraut dabei völlig auf deren künstlerische Kompetenz und Vision. Auch wenn sie wie im Falle von Tamahori noch gar nicht so große Erfahrungen vorweisen können und letztlich ziemlicher Murks dabei herauskommt.
Das ist eine Entwicklung, an der - wie ich glaube - vor allem
Steven Spielberg und
George Lucas nicht ganz unschuldig sind. Vor Mega-Erfolgen wie bei den Serien
Star Wars und
Indiana Jones, gab es Autorenfilmer wie
Ingmar Bergmann, die irgendwie ihr eigenes Ding machten, und Auftragsregisseure wie etwa
Guy Hamilton, denen immer nachgesagt wurde, nur Lakaien der Produzenten bzw. deren verlängerter Arm zu sein. Dann kamen nach Spielberg und Lucas Protagonisten wie
James Cameron (
Terminator),
Peter Jackson (
Lord of the Rings) und
Christopher Nolan (
Batman). Da fand irgendwann ein Umdenken statt. Plötzlich begannen auch die Kritiker Regisseure von Genre-Filmen ernst zu nehmen und als wirkliche Künstler zu verstehen. Das führte einerseits dazu, dass die klassischen Autorenfilmer verstärkt begannen, in den Genre-Film zu drängen (ohne dabei einen Gesichtsverlust fürchten zu müssen), und andererseits bewirkte es, dass so ziemlich jeder 08/15-Handwerker begann, sich für einen großen Regisseur zu halten. Nach dem Motto: Was Jackson oder Nolan können, kann ich auch!
Gleichzeitig haben die Produzenten vielfach diesem Trend und den Forderungen der Regisseure nach mehr Gestaltungsfreiraum nachgegeben und ihnen die weitgehende kreative Kontrolle übertragen. Und das halte ich ebenfalls für einen großen Denkfehler, denn Leute mit einem Talent wie Cameron, Jackson und Nolan sind eher die Ausnahme als die Regel. Und man darf nicht vergessen, dass die alle zumindest halbe Autorenfilmer geblieben sind und ihre Geschichten weitgehend selbst schreiben und geschrieben haben. Vielen anderen Regisseuren fehlt jedoch dieses Talent zum Schreiben, aber sie wollen trotzdem dieselben Rechte bei einer Großproduktion wie ein Cameron oder ein Nolan, vergessen aber dabei meist, dass diese Herren auch lange und hart dafür kämpfen (und Qualität abliefern) mussten, um diesen Status zu erreichen. Für meinen Geschmack geben die Produzenten bei den BigBudget-Filmen heutzutage das Heft des Handelns zu schnell und leichtfertig aus der Hand. Das gilt seit einiger Zeit leider auch für den Broccoli-Clan.
Andererseits traut man selbst sehr erfahrenen und talentierten Autoren nicht zu, allein eine ausreichende künstlerische Vision für ein Projekt entwickeln zu können. Dabei sind sie es, die die Welten erschaffen und auf deren Material jede einzelne Abteilung dann aufbaut. Niemand würde auf die Idee kommen, einen Regisseur für die Dialoge zu engagieren und einen für die Liebesszenen etc. Oder einen abgedrehten Film von einem anderen Regisseur noch einmal überarbeiten zu lassen. (Mit Ausnahme vielleicht von Charles K. Feldman.

Aber man sieht auch, was dabei rauskommt.) Aber seltsamerweise basieren sehr viele Filme auf Bestsellern, die Autoren von Anfang bis Ende allein entwickelten. Warum geht das bei Drehbüchern nicht?
Das ist ein weites Feld. Ein Autor schreibt für sich selbst - ein Drehbuchautor für andere. Die Worte eines großen Literaten oder Bestsellerautors sind in Stein gemeißelt (er muss höchstens den Lektor und die dt. Rechtschreibung fürchten

) - bei einem Drehbuch ist nichts in Stein gemeißelt, selbst wenn der Autor der größte Star-Scripter des Planeten ist. So einfach und gleichzeitig komplex ist die Geschichte. Ein Drehbuch wird immer und überall verändert. Während für einen Romanautor die Geschichte nur für ihn selbst funktionieren muss, muss sie beim Drehbuchautor auch für die anderen/ die Auftraggeber funktionieren. Der Roman ist das Endprodukt, das Drehbuch aber nur der Ausgangspunkt (oder Mittel zum Zweck, wenn man so will). Es geht nicht um das WAS, sondern um das WIE. Beim Roman ist wichtig, wie der Autor den Stoff literarisch verarbeitet - beim Film ist wichtig, wie der Regisseur den Stoff in Bilder umsetzt.
Das ist eine enorme Ungleichgewichtung, weil der Scriptautor nur ein Dienstleister ist; der Romanautor aber ein Werk-Schöpfer in Personalunion. Als Romanautor kann man auch schreiben, was man will, weil es um die reine Vorstellungskraft geht. Ein Drehbuchautor schreibt aber für Praktiker wie Produzenten und Regisseure. Das bedeutet: Es spielt eine enorme Rolle, was die Umsetzung kosten soll und wie sie funktioniert. Das ist das Problem. Ein Produzent muss sein Geld in diese Vision investieren, ein Regisseur sie umsetzen und Schauspieler sie darstellen und sprechen. Da sind unglaublich viele Leute involviert und die alle haben eine Vorstellung, wie man diese Story am besten umsetzen kann. Ein amerikanischer Drehbuchautor hat mal geklagt, dass sich bei einem Film jeder, wirklich jeder in den Prozess einmischt. Es hätte nur noch gefehlt, dass der Hund des Produzenten auch noch Vorschläge gemacht hätte...
Das ist die Ausgangslage. Und bei einem Bond-Drehbuch ist die Sache fast noch extremer, weil man lose Einzelelemente und Action-Höhepunkte zu einem flüssigen Ganzen verdichten muss. Es gibt eben auch so viele praktische Probleme. Wenn SONY den Geldhahn zudreht, muss eine Action-Sequenz umgeschrieben oder ganz gestrichen werden. Dann entsteht ein Loch oder gleich mehrere Löcher in der Handlung. Dann muss man eilig einen Skriptdoktor anheuern, der unter Zeitdruck arbeiten muss. Das kostet wiederum Geld. Oder die Locations ändern sich ständig, weil das Wetter nicht mitspielt, die lokalen Behörden Probleme machen oder der Regisseur gerne ganz andere Locations oder ein Finale in den Alpen statt in London haben will. Dieser Prozess geht immer weiter, ist anstregend und ermüdend. Ich will gar nicht wissen, wie oft die Autoren schon entnervt die Bleistifte zerbrochen haben. Ein gutes Beispiel ist die Pretitle von
Skyfall: Die sollte erst in Südafrika spielen, dann in Indien, schließlich in Istanbul, weil man mit den vorherigen Behörden nicht klar kam oder der Dreh in der Türkei billiger ist, als in Afrika oder Indien zu filmen. Da wird man als Autor ja wahnsinnig, weil man die Szenen ständig anpassen muss. Die Action muss wegen den jeweiligen städtebaulichen Gegebenheiten vor Ort anders funktionieren und natürlich sind die nationalen und kulturellen Begleitaspekte auch nicht 1:1 anpassbar.
Im Grunde ist das Drehbuch sogar noch ein Objekt der Bearbeitung, wenn der Film schon abgedreht ist. Zum Beispiel, wenn der Regisseur und der Cutter im Schneideraum entscheiden, das gedrehte Material völlig anders zusammenzusetzen, als der Drehbuchautor es intendiert hatte. Paul Haggis hat seinem Ärger nach dem Kinostart von
Quantum of Solace ja öffentlich Luft gemacht, weil Forster und Zetumer nicht nur vieles umgeschrieben haben, sondern Forster den Film natürlich auch auf eine sehr eigenwillige Art und Weise geschnitten hat. Da waren von seiner Arbeit wohl nur noch Bruchstücke übrig. Aber was sollen da erst Purvis & Wade denken? Die sind allerdings klug genug, das für sich zu behalten. Deshalb sind sie auch immer noch an Bord, während Haggis und Eon seitdem keine gemeinsame Zusammenarbeit mehr angestrebt haben. Ergo: Als Drehbuchautor muss man ein dickes Fell haben, nicht zu sehr an seinem eigenen Material hängen und adäquat auf die Wünsche von Produzenten und Regisseuren reagieren können, wenn man erfolgreich sein will. Will man seine Visionen 1:1 umsetzen, wird man wohl besser Regisseur oder alternativ direkt Romanautor. Das ist auch ein Grund, warum viele Romanautoren im Drehbuchfach im Allgemeinen und, wenn sie auch noch ihren eigenen Roman adaptieren wollen/sollen im Besonderen, scheitern. Sie können sich meist nicht auf die wesentlich reduziertere und kompaktere Form des Drehbuchs einlassen, hängen an ihrem eigenen Material und sind nicht so offen für Kürzungen und Änderungen wie ihre Vollblut-Drehbuch-Kollegen.
Bei den Bondfilmen hat das Behandeln von Autoren als reine Schreibknechte leider auch eine lange Tradition. Da werden Ideen aus Entwürfen noch zehn Jahre und fünf Filme später ausgewertet.
Leider wahr. Andererseits wurden die Autoren für ihre Arbeit ja auch entlohnt und ich denke, ein Autor sieht es lieber, wenn seine Ideen irgendwann anders, anstatt überhaupt nicht realisiert werden. Dieses Denken ist aus Produzenten-Sicht ja auch irgendwie verständlich. Ein Paradebeispiel ist ja das Script für den nie realisierten dritten Dalton-Bond (
Bond17), das von 1990-1994 von fast einem Dutzend Autoren immer weiterentwickelt wurde, bis man es 1994 dann komplett fallenließ. Die Entwicklung hat sicherlich Millionen verschlungen und da finde ich es schon verständlich, dass man dieses Material dann auch irgendwann nutzen will; sonst hätte man das gute Geld ja umsonst verbrannt. So sind auch immer wieder Elemente von
Bond17 in die späteren Filme bis hin zu
Spectre eingeflossen. Aber ich finde auch, dass Autoren wie vor allem
Richard Maibaum für das, was sie geleistet haben, in den offiziellen Bond-Dokus viel zu wenig gewürdigt werden.
Ich glaube, Maibaum hat in der Zeit von 1965 bis 1969 allein zehn verschiedene Varianten für
On Her Majesty’s Secret Service geschrieben, bevor endlich das Final Shooting Script stand. Das war schon eine unglaublich große und geduldige Leistung von Maibaum, zumal die Produzenten im Nachgang dann auch noch den bekannten Autoren Simon Raven für zwischenzeitliche Änderungen hinzuzogen. Es muss auch eine Genugtuung für Maibaum gewesen sein, als in den 80er Jahren mit Michael G. Wilson der Co-Produzent sein Tandem-Schreibpartner wurde. Plötzlich musste Maibaum nicht mehr um die Realisierung seiner Ideen kämpfen und anders als bei jedem seiner Drehbücher der 60er und 70er Jahre sich auch keiner Endkontrolle durch andere Autoren mehr gefallen lassen. So einfach kann es sein, wenn der Produzent plötzlich mitschreibt und sieht, was die Autoren so zu leisten haben, wenn sie sich Draft für Draft immer wieder aus Neue das Hirn auswringen müssen.