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DrShatterhand

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Donnerstag, 21. Dezember 2017, 16:23

Kurzgeschichte und Comic: "The Living Daylights"

Diesmal habe ich nicht so viel Zeit wie bei "Thunderball" gebraucht, um meinen Vergleich zwischen Flemings Vorlage und der Comicumsetzung anzustellen. Da erweisen sich Kurzgeschichten als dankbare Untersuchungsobjekte.

“The Living Daylights” entstand zwischen den Romanen “Thunderball” und “On Her Majesty´s Secret Service“ . Es fällt auf, daß der Daily Express, in dem die Comicadaptionen erschienen, diese Chronologie missachtete und sie erst nach der Veröffentlichung anderer Comicadaptionen ins Rennen warf.

TLD wurde von Yaroslav Horak gezeichnet, dessen Zeichenstil mir nicht so zusagt wie der von John McLusky, an den man sich aber recht schnell gewöhnt.

Die Geschichte spielt sich hauptsächlich im Grenzgebiet Ost- und Westberlins ab, was natürlich sofort die Untersuchung herausfordert, ob Fleming mit seinen Angaben richtig lag, und er tat es tatsächlich, wie ich durch einen Vergleich mit einem Berliner Stadtplan herausfand. Zu den Berliner Schauplätzen gibt es auch eine Betrachtung auf der Webseite „Bond and Beyond“.

Der Comic legt bei dem Schauplatz einen drauf und stellt das Grenzgebiet mit der Berliner Mauer dar. Die Geschichte spielt allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem die Mauer noch nicht existierte, nämlich 1959 oder 1960. Das geht aus zwei Dingen hervor: Zum einen kann Bond die Zimmerstraße einsehen, was nicht möglich wäre, wenn die Mauer schon gestanden hätte. Zum anderen spricht M im Gespräch mit Bond von den Nuklearplänen des Ostblocks für 1961. In der Regel stellt man Pläne für Folgejahre auf, nicht für ein bereits laufendes, und das führt ebenfalls zu meiner Annahme, daß die Geschichte im Jahr 1959 oder 1960 spielt.

Elemente dieser Kurzgeschichte fanden ihren Weg in Timothy Daltons ersten Bond, den gleichnamigen „The Living Daylights“. Bond muss nach Berlin, um den enttarnten Agenten 272 zu retten, der von Ost- nach Westberlin flüchten will. Der Plan wurde von einem Doppelagenten an Moskau verraten, und Moskau entsendet den Scharfschützen „Trigger“, der den Agenten erschießen soll, bevor er den Westen erreicht. Bond wiederum soll „Trigger“ zuvor erschießen, wenn der sich zeigt.

Es stellt sich heraus, daß „Trigger“ eine Frau ist, die als Mitglied eines Frauenorchesters getarnt ihren Auftrag wahrnehmen will. Bond bemerkt die Frau in den Tagen des Wartens in seinem Versteck. Als er feststellt, daß sie „Trigger“ ist, erschießt er sie gegen seinen Befehl nicht, sondern macht sie nur kampfunfähig. Sein Kontakt in Berlin wird das nach London melden, doch Bond sind die Konsequenzen eher egal.

Diese Reaktion Bonds ist ein Beispiel einer gewissen Amtsmüdigkeit, die er im Laufe der Geschichte zeigt. Woher sie rührt, ist unklar, sie könnte mit der erfolglosen Suche nach Blofeld zusammenhängen, die im Folgeroman (OHMSS) eingebracht wird, hier aber nicht zur Sprache kommt.
Die Kurzgeschichte hat ein paar „Continuity“-Elemente: M und der Chief of Staff erscheinen wieder. Der Comic bringt zusätzlich Moneypenny ein, die in der Kurzgeschichte nicht erscheint. Überhaupt nehmen sich die Comicmacher ein paar Male die Freiheit, Dinge auszuwalzen, zu verändern oder zusätzlich einzubringen. Dem Verrat des Agenten 272 durch einen Doppelagenten wird mehr Platz eingeräumt als in Flemings Geschichte. Das „Entspannungsprogramm“, das Bond in Berlin während der Zeit des Wartens auf 272 absolviert, wird im Comic zumindest in Teilen auf „Trigger“ übertragen; leider kommt im Comic auch früh heraus, daß es sich bei „Trigger“ um eine Frau handelt, was sehr schade ist. Eine weitere Ergänzung des Comics liegt darin, daß „Triggers“ Vorbereitungen zur Erschießung von 272 gezeigt werden; man sieht, wie „Trigger“ ihre AK 47 aus dem Cellokasten holt und für die Erschießung vorbereitet. Die Comicmacher ergänzen ihren Comic auch am Ende noch um einen Teil: „Trigger“, der Mitglied der sowjetischen Sportschützinnen ist, kommt laut einem Zeitungsartikel bei einem Trainingsunfall auf einer Schießbahn zu Tode. Allen ist klar, daß es sich hierbei um eine Bestrafung des KGB handelt.

Auch andere Dinge gehen mit diesen Ergänzungen einher. So werden Dialogteile aus der Geschichte auf ergänzte Comicsequenzen übertragen, zum Beispiel die Erwähnung dessen, daß der KGB-Verschlüsselungscode geknackt werden konnte und man so die Gespräche eines ganzen Tages verfolgen konnte.

Eine Änderung verwundert allerdings: Im Comic verlässt Bond den Schießplatz, auf dem er sich auf seinen Job vorbereitet, mit dem Chief of Staff und fährt mit ihm zum Flughafen; in der Kurzgeschichte ist Bond alleine auf dem Schießplatz. Außerdem diskutiert Bond in einer Flughafenbar seine bevorstehende Aufgabe in aller Öffentlichkeit mit dem Chief of Staff! In der Kurzgeschichte tut er das in den sicheren Büros des Secret Service.

Eine stilistische Änderung, die der Comic gegenüber der Kurzgeschichte erfährt, ist nicht neu: Die Kurzgeschichte hat den „J.J. Abrams“-Beginn. Sie fängt mit Bonds Schusstraining in Bisley an, und erst nach dem Training erfahren wir den Grund dafür. Der Comic geht linearer vor, er beginnt mit Agent 272, der dem Doppelagenten in Berlin seinen Fluchtplan erläutert. Während ich die lineare Vorgehensweise der Comics bei FRWL verstehen konnte, sehe ich hier keine Notwendigkeit, von der Kurzgeschichte abzuweichen; ich finde, hätte man die Ereignisabfolge der Kurzgeschichte beibehalten, hätte das die Leser neugieriger gemacht.

Alles in allem handelt es sich meiner Meinung nach aber um eine gut umgesetzte Comicversion, bei der am ehesten noch die graphische Darstellung die meiste Kritik hervorruft. Die aber ist wiederum Geschmackssache.
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Mittwoch, 27. Dezember 2017, 01:15

Wie immer sehr interessante und detaillierte Ausführungen, Dr. Shatterhand! Danke auch für das Erwähnen meines Beitrags. :)

DrShatterhand

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3

Mittwoch, 17. Januar 2018, 21:25

Keine Ursache! Ich habe den Bericht auch gelesen; ich war zwar im September in Berlin, habe das Café aber nicht ausfindig machen können. Erst danach habe ich Deinen Bericht gelesen und herausgefunden, daß es unter dem alten Namen nicht mehr existiert.
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